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Die große HeimkehrOverlay E-Book Reader

Die große Heimkehr

Anna Kim

E-Book (EPUB)
2017 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
558 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-518-74853-4

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Kurztext / Annotation

Spionagegeschichte, politischer und historischer Roman in einem, handelt Die große Heimkehr von Freundschaft, Loyalität und Verrat, vom unmöglichen Leben in einer Diktatur. Das Buch erzählt von den Folgen der Teilung der koreanischen Halbinsel und den Anfängen des heutigen Nordkorea, als die Gewaltherrschaft Kim Il Sungs noch in den Kinderschuhen steckte. Und es stellt sich der Frage: Wem gehört Geschichte? Den Siegern, die Archive verschließen und Dokumente schwärzen? Oder dem Einzelnen, der seine Erfahrungen von Verlust und Verlorenheit an andere weitergibt, Verlierer wie er selbst?
Seoul, im April 1960. Johnny Kim, seine Geliebte Eve Moon und sein bester Freund aus Kindertagen Yunho Kang sind auf der Flucht vor der berüchtigten Nordwest-Jugend, einer antikommunistischen, paramilitärischen Schlägertruppe im Dienst der Regierung Südkoreas. Diese steht kurz vor dem Zusammenbruch, seit Wochen geht die Bevölkerung gegen den autokratischen Präsidenten Rhee auf die Straße. Gemeinsam wagen Johnny, Eve und Yunho die illegale Überfahrt nach Japan und finden Unterschlupf und Arbeit im koreanischen Viertel Osakas. Doch schon bald werden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt: Ein Mädchen ist verschwunden, und der Verdacht fällt auf Johnny ...



Anna Kim wurde 1977 in Südkorea geboren, zog 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland und schließlich weiter nach Wien, wo die Autorin heute lebt. Im Suhrkamp Verlag erschienen zuletzt die Romane Anatomie einer Nacht (2012) und Die große Heimkehr (2017). Für ihr erzählerisches und essayistisches Werk erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise, darunter den Literaturpreis der Europäischen Union.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Das Licht des späten Nachmittags, noch immer durstig, ließ die Kiefern grüner, saftiger erscheinen und zog ein Schattenspiel zwischen den Mauern auf. Es war dieses Licht, an das ich mich erinnerte, ich hatte es vor vielen Jahren das erste Mal gesehen, als es die düsteren Fassaden der Altstadt zum Schimmern gebracht hatte; später hatte der Monsunregen alle Farben überdeckt und die Stadt in ein dampfendes Becken verwandelt, der Himmel war eine bleigraue Fläche, die vielen Gerüche aber, gekocht von der Hitze des Sommers und von der Nässe, waren intensiver gewesen, als ich es bisher von einem Ort gewohnt war. Doch heute und hier, im ehemaligen Viertel der amerikanischen Missionare, vor dem einzigen ebenerdigen Haus der Straße, das wie alle anderen Häuser auch von einer Mauer umgeben war, die den Blick zensierte und Teil eines Labyrinths war, das nur in Bruchstücken im alten Seoul erhalten ist, roch es modrig, weder nach Gewürzen noch nach Früchten, auf dem Gehsteig vor der braunen Hausmauer stand ein verrostetes Trockengestell mit schrumpeliger Wäsche und aus dem Hausinneren tröpfelte Musik, die maunzende Trompete, das trippelnde Klavier, der tapsende Bass und schließlich, lauter als die Begleitung, die Stimme Billie Holidays. Sie sang:

In my solitude

You taunt me

With memories

That never die

Ich hatte mir vorgenommen, auf das Ende des Liedes zu warten, die Stille zwischen den Nummern zu nutzen und an die Tür zu klopfen, als die Stimme eines Mannes aus dem Fensterspalt drang.

»Worauf warten Sie? Oder spionieren Sie mich aus? Wenn ja, sind Sie ein verdammt schlechter Spion, allerdings hoffe ich, dass Sie die Übersetzerin sind. Kommen Sie herein, wenn Sie schon da sind!«

Die letzten Sätze, gemurmelt, verstand ich nicht. Ich überlegte, ob ich nachfragen sollte, als es aus dem Inneren bellte: »So kommen Sie doch endlich, worauf warten Sie?«

Sobald ich das Haus betreten hatte, befand ich mich an einem Ort, der ausschließlich aus Musik bestand, in einer Höhle aus Geräuschen und Klängen. Erst nach geraumer Zeit wuchs ein Bild, die Umgebung füllte sich mit Farben und Details, ich erkannte Pflanzen in Töpfen, Kissen auf der Couch, Bilder an den Wänden, Figuren und Bücher in den dunklen Regalen, die das wenige Licht schluckten, ich hatte gedacht, es wären nur ein paar, tatsächlich waren es viele, sie stapelten sich sogar auf dem Boden - ich befand mich in einer Bibliothek.

Erst jetzt sah ich den Mann, der am Boden kauerte; von meinen Kollegen wurde er der Archivar genannt.

»Sie sehen aus wie eine Koreanerin«, sagte er und blickte mich aus unversiegelten Augen an. »Nicht ein bisschen wie eine Deutsche.«

Yunho Kang musterte mich im Schutz des Zwielichts, ich stand im Scheinwerfer des Fensters. »Ich bin beides«, antwortete ich.

»Habe ich das richtig verstanden, Sie wurden von einem deutschen Ehepaar adoptiert?«

»Ja.«

»Wie alt waren Sie?«

»Ich war vier Jahre alt.«

»Können Sie sich noch an Korea erinnern?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Wie sollten Sie auch. Ist dies Ihr erster Besuch hier?«

»Nein, mein zweiter.«

»Was wissen Sie über Ihre Heimat?«

Ich sah ihn ratlos an, er verbesserte sich: »Ich meine: Haben Sie die Geschichte Koreas studiert? Oder die Sprache?«

»Beides«, antwortete ich.

»Und Sie sprechen Englisch?«

»Ich habe eine Zeitlang in London gelebt.«

Er klopfte eine Zigarette aus der runzligen Packung und zündete sie an.

»Haben Sie sich über meine Anfrage gewundert?«

Ich zögerte mit meiner Antwort; ich weiß nicht, warum.

Man habe mich schon ein paar Mal gebeten zu übersetzen, sagte ich schließlich, offenbar gebe es Bedarf. Er musterte mich, dann nickte er langsam. »Sie sind sehr groß«, sagte er, »ebenso Ihre Ohren. So groß wie Mandarinen.«

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